Friedel Lienert Rück- und Ausblick
Ölbilder, Grafiken, Aquarelle und Metallarbeiten
26.2.1998 bis 12.4.1998

 
   

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wenn man Friedel Lienert fragt, wann er mit Zeichnen und Malen begonnen habe, so lautet seine Antwort, dass er sich kaum noch an Zeiten erinnern könne, in denen er nicht mit Stiften oder Pinseln hantierte. Die Freude an der Gestaltung von Bildern und Objekten begleitet ihn durch alle Stationen seines Lebens. So wie andere Gedichte schreiben, teilt Friedel Lienert seine Erlebnisse und Empfindungen in Zeichnungen und Gemälden mit. Das Talent, sich mit den Mitteln der bildenden Kunst auszudrücken, ist ihm offenbar angeboren. Doch wie bei vielen kreativ begabten Menschen wurde die Begabung nicht für eine künstlerische Laufbahn genutzt. Ein solider Beruf wurde der ungesicherten Existenz des freischaffenden Künstlers vorgezogen. Zeichnen, Malen und Gestalten bestimmten jedoch seine Freizeit, wodurch im Laufe der Jahrzehnte ein beträchtliches Werk zustande gekommen ist.

Nach der Vertreibung aus der böhmischen Heimat und nach den Jahren seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten, fand Friedel Lienert in Rüsselsheim Arbeit und ein neues Zuhause. 1958 schloss er sich dem Rüsselsheimer Malkasten an, wo er unter Gleichgesinnten Anregung und Ermunterung für seine kreative Arbeit fand. Welche Rolle die Künstlergruppe des "Malkasten" in Friedel Lienerts Biografie spielt, kann nur er selbst ermessen, doch wie sehr die Gruppe mit seinem Leben verbunden ist, zeigt sich seit dem letzten Umzug des "Malkasten" ins ehemalige Landrat-Hardt Heim. Denn dort wo sich heute der Atelierraum im Dachgeschoss befindet, lag einst das Kämmerchen, das Friedel Lienerts erstes Domizil in Rüsselsheim war.

Die Gemälde dieser Ausstellung sind nach Themen gruppiert: Stilleben und Akte, Landschaften und eine Werkgruppe mit symbolistischen Themen. Hinzu kommen einige Zeichnungen und Reliefs aus Metall. Die Malerei Friedel Lienerts leuchtet zumeist in einer hellen und klaren Farbigkeit. Erdfarben und Trübungen durch Graubeimischungen vermeidet er, denn er muss, wie er selber sagt, "die Farbe genießen" können. Die meisten seiner Arbeiten sind gegenständlich. Bei ihrem Anblick fühlt man sich an den Strang der Malerei erinnert, der vom Symbolismus Edvard Munchs über die eigenständige Formulierung des Kubismus durch Robert Delaunay und dessen deutsche Nachfolger August Macke und Franz Marc in die Gegenwart hineinreicht. Die genannten Künstler sind einer lichten Malerei der reinen Farbe verpflichtet, wie sie aus dem Impressionismus und Pointillismus herrührt und können in dieser Hinsicht durchaus als Vorbilder für Friedel Lienert gelten. Vor allem die beiden Gemälde "Krieg und Frieden" (1985) und "Kunst im Wandel" (1994) kommen in ihrem Aufbau und ihrer Farbigkeit nahe an Delaunay heran, dessen berühmtes Gemälde "Die Mannschaft von Cardiff" (1912113) das zentrale Motiv des Kreises auf diesen bei den Bildern beeinflusst zu haben scheint. Die Kreisform evoziert Bewegung und durch sie stellt Lienert einmal den Wechsel vom Krieg zum Frieden dar, das andre Mal die voranschreitende Zeit mit ihren unterschiedlichen künstlerischen Epochen. Auch die Landschaften, die während und nach mehreren Reisen in die Provence entstanden sind, atmen den Geist dieser "sanften" Kubisten, deren Stil von Guillaume Apollinaire wegen seines musikalisch-poetischen Charakters nach dem mythischen Sänger Orpheus als "Orphismus" bezeichnet wurde.

Ein anderer Bezug zur Kunstgeschichte scheint in dem Gemälde "Die drei Frauen" (1990) hergestellt zu sein. Es erinnert an Edvard Munchs, sowohl in der Malerei, wie auch im Linolschnitt formulierte Darstellung der drei Lebensalter der Frau. Dieses traditionsreiche Sujet verbindet sich bei Munch mehrfach mit dem Thema der Eifersucht. Lienerts Bild scheint so etwas wie Rivalität unter Frauen anzudeuten, ein Motiv, das sowohl bei Munch, wie auch in der alten Bildtradition des Parisurteils mit der Darstellung von drei Frauen verbunden ist.

Manchmal, wie bei dem Bild" Späte Stunde im Atelier" (1970), ist in den Werken Lienerts auch die Nähe zu Dieter Ritzert zu bemerken, dessen Atelier in der alten Kantschule eine Zeit lang neben dem Malkastenatelier lag. Dieses Werk, das mittels der blauvioletten Farbe die nächtliche Stimmung im Atelier gut wiedergibt, ist zugleich ein Beispiel für die porträtistische Treffsicherheit Friedel Lienerts, denn Eingeweihte erkennen in der vorderen, schlummernden Figur unschwer den Malerkollegen Heinz Langer.

Wie wir sehen ist Lienerts malerisches Werk gekennzeichnet durch einen Wechsel der Stilmittel. Motiv- und Themenwahl scheinen bestimmt von den augenblicklich vorherrschenden Gefühlen und Stimmungen. Handelt es sich um Reflexionen oder Kommentare zu politischen, religiösen oder philosophischen Fragen, so wählt er eher eine am Symbolismus orientierte Bildsprache. Heitere Sujets wie Stilleben oder Landschaften orientieren sich dagegen am Impressionismus oder dem schon genannten Orphismus.

In den Neunziger Jahren entdeckte Friedel Lienert die Materialcollage, mit welcher er seinem Werk ein weiteres. Spektrum hinzufügte. Metallene Fundstücke vom Schrottplatz werden, nach einem strengen gestalterischen Konzept, zu kühlen ästhetischen Arrangements im Sinne des Konstruktivismus zusammengefügt. Die Fundstücke werden zu diesem Zweck zersägt, auseinander genommen und völlig überarbeitet. Denn wie bei seinen Provenceimpressionen geht es Friedel Lienert auch bei diesen Arbeiten um die Sichtbarmachung des Lichtes. Die Metallteile werden daher glatt geschliffen und poliert. Die Oberfläche wird schließlich durch einen abschließenden Schliff fein strukturiert, erhält sozusagen einen "Strich", durch den sich unterschiedliche Lichtbrechungen ergeben.

Es scheint, als habe sich im Werk Lienerts im Laufe der 90er Jahre eine verstärkte Hinwendung zum Thema des Lichtes in der Kunst vollzogen. Vielleicht wurde dies durch den Kontakt mit dem Süden hervorgerufen, der ja bekanntlich auch Van Goghs Palette zum Leuchten brachte. Voraussetzung ist jedoch immer eine innere Bereitschaft für die Offenbarung des Lichtes und diese scheint Friedel Lienert in vollem Umfang zu besitzen, so dass auch seine folgenden Werke sicherlich von diesen neuen Erfahrungen geprägt sein werden. 1997 hat er die Seitenkapelle der Auferstehungskirche in Rüsselsheim gestaltet. Er entwarf und bearbeitete größtenteils eigenhändig das Tabernakel und die Halterung für das Ewige Licht. In dem gleichfalls von ihm gestalteten Fenster zum Kirchenraum geht es um das Leuchten der Auferstehung. Ausgehend von einem weißen Stern in der Mitte des Fensters wird das Licht in seine Spektralfarben gebrochen, .links in Richtung Blau und rechts in Richtung Gelb. Nichts anderes als die Brechung des Lichtes in seine Spektralfarben hatten die Maler des Orphismus im Sinn, als sie sich der Verwendung der reinen Farben verschrieben. Vielleicht strahlen gerade deshalb die Gemälde August Mackes, der im Alter von 27 Jahren im ersten Weltkrieg gefallen ist, eine solch festliche, beinahe überweltlich zu nennende Heiterkeit aus.